Lager

Geschützt durch hohe Laubbäume liegt das Lager des BirkenClans mitten im grünen Wald. Durch das dichte Astwerk ist das Lager stets beschattet, nur vereinzelte Sonnenstrahlen werfen Lichtflecken auf den sandigen Boden.
Der Lagerplatz ist mit festgetretener Erde bedeckt, rundherum ist ein dichter Wall aus Ästen und Brombeerranken, um das Lager vor ungebetenen Gästen zu schützen. Die einzelnen Bauten liegen inmitten verschiedener Sträucher und bieten guten Schutz vor Regen und Kälte. Mitten auf dem Lagerplatz ist ein Baumstumpf, von wo aus der Anführer zu seinem Clan sprechen kann.

Hagelstern wachte auf und blieb nur einen Moment lang liegen, bevor er aufstand. Das Bedürfnis, noch weiter zu schlafen, verspürte der Krieger nicht.
Er trat aus dem Anführerbau hinaus ins Freie und blinzelte in die Sonne. Es war ein schöner Morgen im Wald und die Frischbeute würde reichlich sein. Er überlegte, ob er selbst jagen gehen sollte, beschloss jedoch, die Einteilung seiner 2. Anführerin zu überlassen, welche er in eben diesem Moment auf dem Lagerplatz sah.
Er lief auf sie zu und blieb vor ihr stehen. Die Stellvertreterin sah alles andere als gut aus und Hagelstern musterte sie einen Moment lang.

» Du... «, begann der Anführer ohne große Umschweife, » ...siehst - wenn ich ehrlich sein darf - aus, als hättest du die ganze Nacht nicht geschlafen. « Er machte eine kurze Pause. » Vielleicht sogar noch ein bisschen schlimmer. «

Jede andere Katze hätte nun wahrscheinlich angefangen, Hagelstern im Gegenzug zu beleidigen, aber Streifenfell war dazu wohl ein bisschen zu lieb und ruhig. Sie würde wissen, was der Kater meinte, und dass er es nicht so meinte, wie viele es wahrscheinlich verstehen würde.

Hagelstern sah seine Stellvertreterin mit schiefgelegtem Kopf an. Wieso teilte sie ihm mit , dass es ihr gut ging? Ganz aus dem Zusammenhang heraus war diese Aussage vielleicht nicht, trotzdem irritierte sie den Anführer ein wenig. Ein wenig Unaufmerksamkeit war zu entschuldigen, aber schließlich könnte ihm die Kätzin wenigstens zuhören. Natürlich war es nicht seine Aufgabe, darüber nachzudenken, was seine Stellvertreterin machte, was sie dachte oder sagte, aber er mochte es nicht, solche merkwürdigen Antworten zu bekommen.

» Ähm...? «, begann der Kater, » Mir geht es wunderbar, aber dir... « Er beendete den Satz absichtlich nicht. » Mir ist es egal, wer patroullieren geht. Aber da die ganze Gemeinde noch zu schlafen scheint, werde ich wohl selbst eine Runde machen, sobald jemand wach ist, der mich begleitet. «

Er nickte Streifenfell zu und drehte sich um. Er würde die Arme wohl nur noch mehr verwirren, wenn er weitere Witz zu machen versuchte, weswegen er es lieber ließ. Er schaute sich um. Was für ein Clan voller Langschläfer sie doch waren. Er selbst hielt es nie so lange aus, weswegen er alle, die so lange schlafen konnten für faul abtat.
Natürlich waren nicht alle, die im Moment schliefen, faul, aber zugegebenermaßen auch nicht sonderlich aktiv beschäftigt. Er wollte endlich losziehen um die Grenzen zu kontrollieren, da hatte er keine Lust auf irgendjemanden zu warten, der seinen Schönheitsschlaf brauchte.
Sein Blick wanderte vom Boden zum Lagerausgang, als würde dort jemand auf ihn warten. Doch da war nichts, außer ein paar armseeligen Ginstersträuchern, welche leicht im Wind wehten.

Der Kater wunderte sich, als seine Stellvertreterin ihm folgte. Sie sah aus, als wäre ihr nicht ganz wohl und Hagestern fragte sich, ob er sie nicht lieber zum Heilerbau schicken sollte. Doch er traute Streifenfell durchaus zu, selbst zu wissen, wann es Zeit war aufzugeben und sich dem Heiler anzuvertrauen.

» Ist nicht schlimm, Streifenfell. Jeder hat mal einen schlechten Tag. «, meinte er, lächelte einen Moment und schaute dann an ihr vorbei zum Bau der Krieger.

Noch immer schien niemand Anstalten zu machen, seinen Hintern aus dem Bau zu bewegen, was Hagelstern ziemlich nervte. Er konnte ja verstehen, dass jemand nicht früh wach sein wollte, aber irgendwann musste man den Pflichten des Clanlebens nachkommen und aufstehen, so wie ein wahrer Krieger. Er hatte noch nie von einem wahrhaft gutem Krieger gehört, der den halben Tag schlummernd dagelegen hat und nicht getan hat.
Doch dann wandte er sich seiner Stellvertreterin zu. Er hatte nicht dagegen, sich von ihr begleiten zu lassen, jedoch hatte er keine Lust, sie nachher ins Lager tragen zu müssen, nur weil sie nicht zugeben wollte, dass es ihr schlecht ging.

» In Ordnung, dann begleite mich, irgendjemand wird schon aufwachen. Irgendwann. «, nickte Hagelstern und schnippte kurz mit dem Schwanz.

Einen Moment lang sah er sie prüfend an, dann nickte er erneut und machte Anstalten, sich umzudrehen und in Richtung des Lagerausganges zu gehen.

Rauchschleier, die in ihrer Nähe geschlafen hatte, nieste, wodurch Alabasterfell selbst wach wurde. Mit einem Gähnen bedankte sie sich für das Wecken, dann wankte sie selbst, um aufzustehen. Mit der Schnauze durchbrach sie den Blätterwall des Kriegerbaus, dann stand sie blinzelnd in der Sonne. Der kurze, weiße Schwanz zuckte, bis sich die Kriegerin an die Helligkeit gewöhnt hatte.

Hagelstern, Streifenfell und Rauchschleier standen beisammen, scheinbar unterhielten sie sich über die Patroullien. Mit neugierig aufgestellten Ohren kam Alabasterfell näher zu ihnen und senkte vor ihrem Anführer und der Stellvertreterin respektvoll den Kopf, während sie auf eine Aussage des Katers wartete.

HAGELSTERN && STREIFENFELL && RAUCHSCHLEIER

Streifenfell ignorierte sowohl Rauchschleier als auch Alabasterfell, als wären sie pure Luft. Das und der Fakt, dass sie ihren Anführer so glückselig anlächelte und sich die ganze Zeit verhaspelte wie eine aufgeregte Hummel versetzten Alabasterfell einen Stich in der Herzgegend. Und sie war empört, dass die Stellvertreterin die Kriegerinnen ignorierte.
Doch jedenfalls Rauchschleier begrüßte die weiße Kätzin freundlich. Es fiel Alabasterfell schwer, der Grauen kein Misstrauen entgegenzubringen oder jedenfalls eine gewisse Distanz zu ihr zu wahren – physisch wie psychisch –, denn die Kätzin machte der Weißen ein wenig Angst. Mal war sie freundlich, liebevoll und wirklich eine gute Freundin, im nächsten Moment fauchte sie wild spuckend um sich und versuchte, dir die Augen auszukratzen, weil du das Stück Frischbeute genommen hast, das sie wollte. Alabasterfell fühlte sich unwohl in ihrer Nähe, doch sie versuchte, trotzdem wie mit jeder anderen Katze mit Rauchschleier umzugehen.

„Guten Morgen“, gab sie erfreut über die Höflichkeit zurück. „Du hast ja Appetit gehabt gestern: Dir noch einen Vogel mit ins Nest zu nehmen.“

Die Weiße schmunzelte ein wenig bei der Erinnerung an den gestrigen Abend, an dem Rauchschleier sich noch ein Nachtmahl gegönnt hatte.

Hagelstern nickte Alabasterfell und Rauchschleier zu, als die beiden Kätzinnen zu ihnen stießen. Als die drei anfingen zu streiten - jedenfalls fingen Rauchschleier und Streifenfell an, fürchterlich übereinander her zu ziehen - hörte er einfach nur zu. Er hatte keine Lust, in irgeneinen sinnlosen Streit verwickelt zu werden, dessen Sinn ihm so klar war wie der der Zweibeiner.
Es verwirrte ihn, dass Rauchschleier auf einmal anfing, rumzugiften, als ginge es um Leben und Tod, doch immer noch blieb der Anführer ruhig. Er musste zugeben, die beiden Divas hatten eine ganz schöne Sammlung an Schimpfwörtern und Beleidigungen, welche er ihnen gar nicht zugetraut hätte.
Doch als Streifenfell bewusstlos zu Boden fiel und Rauchschleier nichts dagegen unternahm, wurde er sauer. Rauchschleier tat so, als sei nicht geschehen - nein, noch besser: sie tat verwirrt und schaute drein wie ein aufgescheuchtes Huhn.

» Rauchschleier, was denkst du dir eigentlich? «, meinte der Kater und überlegte einen Moment. » Warte...diese Frage kann ich mir selber beantworten: du denkst dir nicht! Gar nichts denkst du dir! Nicht einmal schuldbewusst siehst du aus. Und glaub nicht, dass ich dich einfach so davon kommen lassen würde. «

Es kam selten vor, dass Hagelstern so austickte - normalerweise war er ein ruhiger, ausgeglichener Kater, der sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen ließ, doch irgendwann war der Spaß nunmal vorbei. Er funkelte Rauchschleier an, dann sah er zu Streifenfell.

» Du «, sagte der Kater und nickte Rauchschleier zu. » Du bleibst bei Streifenfell bis sie sich wieder besser fühlt und dann wirst du ihr für mindestens den Rest des Tagen jeden Wunsch von den Augen ablesen. Alabasterfell? Wir gehen patroullieren und jagen - Streifenfell sieht nicht so aus, als würde sie noch mitkommen wollten. «

Der Kater schnippte mit dem Schweif und signalisierte der Kriegerin damit, ihm folgen zu sollen. Vielleicht mochte er gegenüber den Kätzinnen ein wenig - vielleicht auch ein bisschen mehr als wenig - herzlos wirken, aber er hatte einfach keine Lust mehr, sich das Gezicke und Gekeife anzuhören.