Lager

Das Lager des KlippenClans liegt auf einem höheren Felszug in einer Höhle. Der Eingang ist schwer zu verstecken, da es kaum Bäume oder Büsche dort gibt. Bevor man jedoch den Eingang erreichst müssen die Katzen einen etwas steileren Felsvorsprung hochklettern bzw. hochspringen, der gleichzeitig viele Feinde dem Lager fernhält. Licht fällt durch verschiedene Öffnungen im Dach der Höhle.
Die Bauten der Katzen liegen in verschieden großen Kuhlen und sind mit Moos und Federn gepolstert. Am Rande des Lagerplatzes ist ein Felsvorsprung, von dem aus der Anführer zu seinen Clangenossen spricht. Direkt hinter dem Felsvorsprung liegt der Anführerbau auf einem höheren Level als das restliche Lager.

Gähnend erwachte Holunderstern in ihrem Bau. Es war morgens in der Blattfrische, der letzte Schnee war in den vergangenen Tagen geschmolzen. Der Fluss würde höheres Wasser führen und reißender sein. Fischen kam also einem kleinen Selbstmordversuch gleich. Genau diese Gedanken zogen der grauen Anführerin zuerst durch den Kopf, noch bevor sie eine Pfote gehoben hatte, um sich damit über die Ohren zu fahren.
Energisch stand die Kätzin auf, schüttelte sich und entfernte die widerspenstigen Federn und Moosstückchen, die sich in dem kurzen Fell verheddert hatten. Zufrieden mit ihrer Arbeit gähnte sie erneut, bevor sie an dem Felsausgang vorbeischritt, der ihren Bau verdeckte. Vom Felsvorsprung schaute sie hinunter. Es war noch niemand wach, wie es schien.
Leise, um niemanden sofort zu wecken, setzte die Anführerin eine Pfote vor die anderen und stieg so langsam den Anstieg zum Felsvorsprung hinab. Der erste Weg führte sie zum Frischbeutehaufen, welcher dank der Jahreszeit langsam wieder anschwoll. Hunger machte sich bemerkbar und fast ein wenig gierig nahm sich Holunderstern eine dicke Forelle vom Frischbeutehaufen, trug sie unter den Felsvorsprung und ließ sich dort nieder. Den Fisch verschlingend hoffte sie, dass Rotfeder bald wach würde, um mit ihr die Patroullien zu besprechen.

Der Traum der Kätzin war merkwürdig unklar und als sie die Augen aufschlug, blendete sie ds Licht, welches durch die Löcher der Decke in die Höhle schien. Sie starrte einen Moment lang zur Decke, doch dann rappelte sie sich auf. Es war nicht die Zeit, um sich zu entspannen oder zu faulenzen. Patroullien mussten besprochen und eingeteilt werden, was keinen Aufschub duldete.
Obwohl viele ihrer Clankameraden noch schliefen machte sie sich keine Sorgen darüber, ob sie aufwachen könnten, wenn sie zu fest auftrat oder ein Geräusch machte. Umso früher die Schlafmützen aufwachten, umso besser. Denn umso früher konnte sie einteilen, wer hierblieb und weg das Lager verlassen sollte. Jede andere Katze hätte sich Sorgen gemacht, andere aufzuwecken. Nur Rotfeder dachte daran, dass alle schnell aufstehen sollten um zu helfen.
Sie selbst war eine Frühaufsteherin und duldete es nicht, warten zu müssen. Sie sah die graue Gestalt der Anführerin am Frischbeutehaufen. Fast ein wenig deprimiert stellte Rotfeder fest, dass sie einen Fisch aß. Sie selbst wartete immer, bis alle anderen etwas hatten, bis sie sich slebst etwas nahm. Natürlich konnte sie es ihrer Anführerin weder verbieten, noch verübeln, da es ihre eigene Regel war, aber trotzdem ärgerte es sie ein wenig.

» Guten Morgen «, sagte die Stellvertreterin und setze sich vor ihre Anführerin. Dass sie sich vor wenigen Augenblicken geärgert hatte konnte man ihr nicht im geringsten ansehen. » Hast du schon Pläne für die Einteilung der Patroullien? «

Sie ließ ihren Blick über die sich gleichmäßig bewegenden Körper der schlafenden Katzen schweifen, welche auch beim Klang ihrer Stimme nicht die Miene zu verziehen schienen. Sie konnte niemanden verstehen, der so lange ruhig liegen konnte. Sie brauchte etwas zu tun und wollte rennen. Sie beschloss darum zu bitten, jagen gehen zu dürfen.
Ach was, sie würde nicht darum bitten. Sie wurde es einfach beschließen. Sie war nicht der richtige Typ dafür, um etwas zu erfragen, das für sie selbstverständlich war.

Ginsterpfote erwachte im Schülerbau. Eine Feder hatte seine Nase gekitzelt und der junge Kater hatte unfreiwillig niesen müssen, was ein kleines Echo durch die Höhle sandte. Nun so zu tun, als würde er noch schlafen, würde wahrscheinlich nicht funktionieren, vor allem, weil er Rotfeder sprechen hörte. Ihm war schon bekannt, dass sie jeden Faulpelz nicht leiden konnte, weshalb sich der Graubraune mühevoll auf die vier Pfoten stemmte und aus der Kuhle des Schülerbaus kletterte.

„Morgen“, gähnte der Kater verschlafen, als er sich zu der Zweiten Anführerin und Holunderstern geschleppt hatte. „Bin wach.“

Mit auf dem Boden schleifenden Schweif – zu mehr war der Kater in seiner Morgenmuffeligkeit nicht fähig – drehte sich der Schüler wieder um und nahm sich wie in Trance eine kleine Amsel vom Frischbeutehaufen, die ganz oben lag. Der Vogel war klein und mickrig, fast niemandem würde auffallen, dass sie weg war.
Noch immer halb schlaftrunken verzog sich Ginsterpfote zu einem Stein nahe des Lagerausgangs in respektvollem Abstand zu den beiden führenden Kätzinnen. Zwischen zwei Gähnern biss der junge Kater herzhaft von seiner Amsel ab, spuckte die Federn wieder aus und biss noch einmal hinein.

Endlich kam Leben in die Höhle, als Rotfeder erwachte und sich zu Holunderstern begab. Diese hatte die Forelle inzwischen fast schon komplett aufgegessen, ihre Kraftreserven waren nun beinahe wieder voll. Es tat der Anführerin sichtlich gut, dass die Blattfrische angebrochen war.

„Guten Morgen“, begrüßte die Graue Rotfeder. „Ich dachte, du könntest vielleicht Ginsterpfote mitnehmen? Seine Prüfung ist nicht mehr lange hin und ich möchte, dass er gut trainiert. Ich finde, das Fischen liegt ihm noch nicht besonders.“

Wenn man vom Teufel sprach! Gerade als Holunderstern ihren letzten Satz beendete, tauchte Ginsterpfote auf, begrüßte die beiden sich unterhaltenden Kätzinnen und zog sich dann wieder zurück. Holunderstern fand es positiv zu sehen, dass er, obwohl er nicht volles Clanblut besaß, dennoch den nötigen Respekt besaß, den sie sich wünschte.

Auch Sonnenherz schien aufgewacht zu sein. Mit grimmigem Blick und einem Fisch ließ sie sich bei Rotfeder und der Anführerin nieder und begann, sich zu beschweren. Holunderstern unterdrückte nur mit Mühe ein amüsiertes Schnurren.

„Damit du wach wirst, meine Liebe“, antwortete die Anführerin belustigt und zwinkerte schelmisch mit den Augen.

Holunderstern schnurrte belustigt bei Sonneherz' Worten. Sie wusste, wie sehr die Heilerin es verabscheute, geweckt zu werden. Auch Holunderstern war kein Fan von frühem Wecken, doch wenn sie einmal wach war, so konnte sie auch aufstehen, fand sie.

„Ich fürchte, die meisten anderen schlafen noch“, meinte Holunderstern.

Sie zuckte ratlos mit den Ohren. So eilig hatte sie es nicht, das Lager zu verlassen, doch die Patroullien mussten ausschwärmen. Der Frischbeutehaufen war auch nicht mehr so groß, dass jeder sich ein Stück hätte nehmen können – das machte Holunderstern Sorgen. Bisher hatten sich auch die anderen Clans vorbildlich verhalten, die Anführerin machte sich zunächst keine Sorgen, dass der SandClan oder BirkenClan angreifen könnten.

Ginsterpfote kam und ging mit einem kleinen Vogel im Maul weg. Rotfeder mochte den Schüler irgendwie - er hatte diese respektvolle, jedoch freundliche Art, die sie sich von ein paar anderen Clanmitgliedern auch wünschen würde. Sie wandte sich wieder zu Holunderstern.

» In Ordnung, dann nehme ich Ginsterpfote mit, werfe einen Blick auf die Grenzen und gehe dananch mit ihm ans Wasser. «, meinte sie nickend und wollte in dem Moment aufstehen und gehen, in dem Sonnenherz kam.

Sonnenherz war eine Kätzin von der Sorte, die Rotfeder überhaupt nicht ausstehen konnte. Sie war faul und schlafmützig, tat jedoch so, als würde sie sich furchtbar darüber aufregen, wenn andere schliefen. Doch die kleine Stellvertreterin behielt die Ruhe und musterte die Heilerin nur kurz. Sie schüttelte leicht, kaum merklich den Kopf.

» Eine Heilerin sollte nicht parteiisch sein, außerdem ist es längst zeit für's Aufstehen gewesen. «, meinte sie schnippisch und versuchte, sich ein wenig größer zu machen.

Dann nickte sie Holunderstern zu und ging zu Ginsterpfote und seinem Vogel. Sie lächelte einen Moment, dann setze sie sich neben ihn und beobachtete ihn einen Moment neugierig. Er war ein recht geschickter Schüler, doch Holunderstern hatte recht - die richtige Technik zum Fangen von Fischen hatte er noch nicht gefunden. Sie beschloss, ihn ein wenig selbst probieren zu lassen, bevor sie einen Theorievortrag halten würde. Doch probieren lernte man meist viel schneller als durch das bloße Hören und Sehen.

» Holunderstern hat gesagt, wir sollen zusammen patroullieren gehen. Ich soll mit dir Fischen gehen, damit du bis zu deiner Prüfung auch Fische fangen kannst. «, meinte sie und wartete darauf, dass der Schüler etwas entgegnete.

Holunderstern war froh, dass auch Rotfeder der Meinung war, Ginsterpfote sollte noch ein bisschen Fischen trainieren. Es wäre ihr nicht recht gewesen, hätte sie die Gefühle der Schwarzweißen verletzt, schließlich fühlte man sich für seinen Schüler verantwortlich und Holunderstern wusste von sich selbst, wie gereizt man reagieren konnte, wurde man oder das Training kritisiert.

„Danke, Rotfeder“, miaute Holunderstern und nickte ihrer Stellvertreterin zu, die zu Ginsterpfote herüberging. „Sonnenherz, würdest du auf das Lager aufpassen? Dann würde ich nämlich gern jagen gehen.“

Mit schiefgelegtem Kopf sah die Anführerin die Rote vor sich an. Holunderstern hoffte, dass Sonnenherz freiwillig im Lager bleiben würde – vielleicht noch ein wenig schlafen oder ähnliches. Es war der Grauen zuwider, ihrer Heilerin etwas zu befehlen.

Als Ginsterpfote die Amsel verspeist hatte, was aufgrund deren geringer Größe relativ wenig Zeit in Anspruch genommen hatte, fühlte er sich schon etwas munterer und begann, sich nun der Fellpflege zuzuwenden. Ausgiebig leckte er über das hellgetüpfelte Fell, versuchte, auch Schwanzwurzel und Rücken ordentlich zu hinterlassen. Das war sein Morgenritual: fressen, putzen, wach.
Rotfeder kam gerade hinzu, als er dabei war, zum letzten Mal seine Ohren zu lecken und noch Bauch und Brust vor sich hatte. Es wurmte den Kater, dass sie ihn unterbrach, doch er wollte keinen unnötigen Ärger mit seiner Mentorin heraufbeschwören.

„Fischen? Ist das nicht gefährlich bei der Schneeschmelze?“, warf der junge Kater ein und sah nachdenklich aus. „Naja, du musst es wissen, ich hoffe einfach, nicht fortgespült zu werden.“

Es war deutlich, dass er den Aufbruch hinauszögern wollte. Hier ging es um seine Schwächen und die mochte der Schüler nun wirklich nicht zugeben. Zwar war er sehr geduldig mit den Katzen, die er schätzte – und dazu gehörte Rotfeder als seine Mentorin –, doch er mochte es gar nicht, wenn man ihn für dumm oder unbegabt hielt. Er schwor sich, Rotfeder heute zu beweisen, dass er sehr wohl Fische fangen konnte – und das ausgezeichnet!

Rotfeder musste sich ein Lächeln unterdrücken, als der junge Kater mit sämtlichen, ihm zur Verfügung stehenden Mitteln versuchte, sie zu überzeugen, dass heute nicht der richtige Tag zum fischen sei. Doch Rotfeder ließ sich nicht beirren. Draußen war herrliches Wetter und das würde auch das Schmelzwasser nicht ändern.
Auch wenn Ginsterpfote vielleicht kein geborener Schwimmer war - jeder konnte es mit ein bisschen Übung und einem guten Willen, welchen sie ihrem Schüler durchaus zutraute.

» Du wirst schon nicht fortgespült werden, dafür müsstest du wirklich sehr, sehr ungeschickt sein. «, erklärte sie lachend.

Anscheinend schien auch Holunderstern das Lager verlassen zu wollen - Sonnenherz sollte auf das Lager aufpassen. Rotfeder hielt dies für eine durchaus schlechte Idee, da sie der Heilerin auch zutraute, einfach einzuschlafen, während der SandClan das Lager stürmte.
Aber sie vertraute Holundersterns Urteilen und wenn diese es für richtig empfand, Sonnenherz hier wachen zu lassen, dann lag es nicht an ihr, dies anzuzweifeln oder anzufechten. Auch wenn sie die schläfrige Kätzin nicht mochte, war es in Ordnung, dass Holunderstern sie als Wachposten wählte. Aber Rotfeder würde nachher keinerlei Haftung bei möglichem Schaden auf sich nehmen! Sie würde, im Falle eines Angriffes, dasitzen und für sich denken: ich hatte Recht, ich hatte Recht!
Dann wandte sich Rotfeder wieder zu ihrem Schüler und schnippte kurz mit dem Schwanz um ihm ein Zeichen zu geben, dass er folgen sollte. Weder die Grenzen, noch die Frischbeute wartete darauf, dass man kam. Wie heißt es so passend? Der frühe Vogel fängt den Wurm. Obwohl Rotfeder kein Vogel war und auch keine Würmer fangen wollte.

» Zuerst gehen wir zu den Stromschnellen um zu sichern, dass der SandClan bei sich bleibt und keinen Ärger macht. «, bestimmte die 2.Anführerin. » Dann können wir zur Quelle gehen, dort dürfte das Wasser seicht sein - damit du auch ja nicht untergehst! «

Sie zwinkerte ihrem Schüler zu und drehte sich dann, ohne einen weiteren Laut von sich zu geben, um und steuerte den Ausgang des heimischen Lagers an. Dort wartete sie einen Moment, bis Ginsterpfote bei ihr war und sie zusammen an die frische Luft konnten.

--> Stromschnellen { KlippenClan xx SandClan }

Mit ein wenig leidendem Blick schaute Ginsterpfote seiner Mentorin hinterher. Schwimmen. Fischen. Er war gar nicht begeistert von dem heutigen Tagesplan. Dennoch stand der junge Kater auf, trug die Reste seiner Frischbeute aus dem Lager und schmiss sie über die Kante, wo das Gerippe in die Tiefe fiel.
Gut, er war aus dem Lager. Rotfeder hatte am Lagerausgang auf ihn gewartet, ihn schelmisch angeguckt und seine Versuche, den Aufbruch hinauzuzögern, belächelt. Ginsterpfote seufzte ergeben.

„Na dann mal los“, murmelte er, während er mit dem Schwanz wedelte, um Rotfeder zu signalisieren, dass er losging.

Ein paar Sprünge und schon stand er unterhalb des Lagers auf dem grauen Fels und schaute zu der Erhöhung des Lagers hinauf. Wie gerne hätte er heute einfach nur dort oben in der Sonne gefaulenzt. Ein letzter sehnsüchtiger Blick, dann folgte Ginsterpfote dem Weg zu den Stromschnellen.

tbc. Stromschnellen

Mit einem dankbaren Blick zu Sonnenherz, die sich bereit erklärte, im Lager zu bleiben, wollte die Anführerin aus dem Lager gehen, doch Sternenpfote, die aufgewacht war und ein wenig zerwuschelt aussah, kam dazu und hielt Holunderstern einen Moment länger im Lager.
Die junge Kätzin hatte eine tragische Kindheit erlebt und Mitleid durchfuhr Holunderstern jedes Mal wieder, wenn sie die Rotgetigerte ansah. Es gefiel der Grauen gar nicht, machtlos gegen den Willen des SternenClans zu sein.

„Guten Morgen, Sternenpfote“, miaute Holunderstern freundlich. „Ich wünsche euch viel Spaß!“

Mit diesen Worten wandte sich die Kätzin ab, legte den Rest ihrer Frischbeute zur Seite, wo eine andere Katze sich daran gütlich tun könnte, und verließ das Lager durch den breiten Höhleneingang.

tbc. Quellwald